Die virtuelle Realität verspricht eine frühzeitige Erkennung von Gleichgewichtsproblemen bei Multiple-Sklerose-Patienten

Veröffentlichungsdatum:

KAPELLENHÜGEL – Menschen mit Multipler Sklerose (MS) haben oft ein deutlich erhöhtes Risiko zu stürzen und sich zu verletzen, selbst wenn sie das Gefühl haben, normal gehen zu können.

Jetzt hat ein Team unter der Leitung von Wissenschaftlern der UNC School of Medicine eine relativ einfache Methode zur Früherkennung solcher Probleme demonstriert.

Die Forscher haben in einer Studie veröffentlicht in Plus eins, nutzte ein Virtual-Reality-System (VR), um Probanden vorzutäuschen, sie würden fallen, während sie auf einem Laufband laufen. Die Wissenschaftler fanden deutliche Unterschiede in den Reaktionen zwischen Menschen mit MS und gleichaltrigen Menschen ohne MS. Diese Unterschiede waren zwischen den Gruppen nicht erkennbar, wenn sie auf normale Weise ohne die „Fall“-Illusion gingen.

Die Forscher glauben, dass ein VR-basierter Test wie dieser nach weiteren Studien und Entwicklungen tragbar gemacht und in neurologischen Kliniken weit verbreitet eingesetzt werden könnte, um MS-Patienten früher auf ihre Gleichgewichtsstörungen aufmerksam zu machen und ihnen die Möglichkeit zu geben, Maßnahmen zur Reduzierung ihres Sturzrisikos zu ergreifen.

„Unsere vielversprechenden Ergebnisse deuten darauf hin, dass man VR verwenden kann, um Gleichgewichtsprobleme zu erkennen, die normalerweise unentdeckt bleiben, bis die Person zu Hause oder am Arbeitsplatz tatsächlich stürzt“, sagte Studienleiter Jason Franz, PhD, Assistenzprofessor am UNC/NC State Joint Department der Biomedizinischen Technik.

MS ist eine Gehirnerkrankung, von der etwa 400.000 Menschen in den Vereinigten Staaten und mehr als 2 Millionen Menschen weltweit betroffen sind. Es wird allgemein angenommen, dass es durch eine unangemessene Aktivität der Immunzellen im Gehirn verursacht wird und auf den Verlust der isolierenden Schicht des Myelinproteins um die Nervenfasern zurückzuführen ist – ein Verlust, der die Fähigkeit der Fasern zur Weiterleitung von Nervensignalen beeinträchtigt. Anzeichen und Symptome von MS sind Müdigkeit, Taubheitsgefühl und Kribbeln, kognitive Beeinträchtigungen, Stimmungsschwankungen sowie Gleichgewichts- und Gangprobleme.

Letzteres kann sich unerwartet manifestieren. Menschen, die an MS leiden und kaum oder gar keine Behinderung aufweisen, sind im Durchschnitt bereits einem doppelt so hohen Sturzrisiko ausgesetzt wie Menschen, die nicht an MS leiden. Studien haben außerdem ergeben, dass Menschen mit einer MS-Diagnose im Durchschnitt mindestens einmal pro Jahr stürzen. Viele dieser Stürze ereignen sich bei Aktivitäten wie Gehen.

Franz und seine Kollegen wollten einen Test entwickeln, der Gleichgewichts- und Gangstörungen auch bei Menschen mit MS aufdecken könnte, die sich dieser Probleme möglicherweise nicht bewusst sind oder sie beim normalen Gehen nicht zeigen.

„Wenn wir herumlaufen, nutzt unser Gehirn verschiedene sensorische Feedbackkanäle, darunter Kraftsensoren in unseren Füßen, um unsere Bewegungen zu steuern und von einem Schritt zum nächsten Korrekturen vorzunehmen“, sagte Franz. „Aber bei Menschen mit MS können diese Kraftsensoren weniger zuverlässig werden, sodass die Menschen sich stärker auf andere Kanäle verlassen müssen, insbesondere auf das Sehvermögen.“

Franz und Kollegen verwendeten ein VR-Gerät, das die experimentelle Manipulation der visuellen Wahrnehmung ermöglicht. Ihr Laborgerät ähnelt einer halbkreisförmigen Theaterleinwand, die Probanden beobachten, während sie auf einem Laufband laufen. Die VR-Szene zeigte einen Flur, den die Testperson scheinbar mit der gleichen Geschwindigkeit entlanglief, mit der sie auf dem Laufband ging. Manchmal erzeugten seitliche Schwankungen in der Szene bei jedem Probanden die Illusion, dass er oder sie instabil wurde, was eine korrigierende Reaktion auslöste, die als Änderung des Gangs und der Fußposition gemessen werden konnte. Franz‘ Hypothese war, dass sich die MS-Patienten mit Gleichgewichtsstörungen in diesen Korrekturreaktionen deutlich von normalen Probanden unterscheiden würden.

Die Wissenschaftler testeten 14 Personen mit MS und 14 gleichaltrige Teilnehmer ohne MS. Sie stellten fest, dass es tatsächlich einen deutlichen Unterschied zwischen den Gruppen in ihren Reaktionen gab, dieser wurde jedoch erst bei der Nutzung der VR-Balance-Challenge deutlich.

„Beim normalen Gehen ohne VR – selbst mit unserer hochentwickelten Laborausrüstung einschließlich einer Batterie von 3D-Motion-Capture-Kameras – konnten wir Menschen mit MS nicht effektiv von gesunden, altersgleichen Personen unterscheiden“, sagte Franz. „Dieser Ansatz des gestörten Gehens könnte also viele wichtige klinische und translationale Anwendungen haben.“

Er und seine Kollegen passen ihr System nun für die Verwendung mit VR-Headsets für Endverbraucher als routinemäßiges Diagnosetool an, das in Kliniken von Neurologen eingesetzt werden soll, um Gleichgewichtsstörungen zu erkennen, die andernfalls unerkannt bleiben würden.

Sie hoffen auch, das VR-System als Instrument der Physiotherapie zu entwickeln, um MS-Patienten dabei zu helfen, ihr Gleichgewicht zu verbessern und so das Sturzrisiko zu verringern.

Die Arbeit war eine Zusammenarbeit zwischen dem UNC/NC State Joint Department of Biomedical Engineering, dem Center for Rehabilitation Care der UNC School of Medicine und der University of Illinois.

Die Forschung wurde durch ein Stipendium der National MS Society unterstützt.

Die Co-Autoren der Studie waren neben Jason Franz Brian Selgrade, PhD, und Diane Meyer von der UNC sowie Jacob Sosnoff, PhD, von der University of Illinois at Urbana-Champaign.

Quelle: WRAL TechWire